Association internationale de Papyrologues

International Association of Papyrologists




In memoriam Wolfgang Müller

1922-2012


Discours prononcé durant l'Assemblée Générale de l'AIP réunie à Varsovie le 3 août 2013
Speech delivered during the General Assembly of the AIP gathered in Warsaw on August 3rd, 2013 par - by: F. Reiter



Wolfgang Müller starb am 24. Okt. 2012 in Berlin. Mit seinem Tod verliert die Papyrologie den letzten direkten Schüler Wilhelm Schubarts. Müller, der am 10. Juli 1922 in Altenburg geboren und dort aufgewachsen war, stammte aus einer bürgerlichen Familie, die ihm schon in frühen Jahren ein breites kulturelles Interesse vermittelte. Insbesondere seine Liebe zur Musik nahm hier, bei der Hausmusik mit Mutter und Schwester, ihren Ausgang. Von der gewünschten Ausbildung zum Violinisten sah Müller auf Anraten seiner Eltern aber ab und begann im Jahre 1946 ein Studium der Alten Geschichte in Leipzig.

Hier wurde Wilhelm Schubart Müllers wichtigster Lehrer und Förderer; bei ihm verfaßte er seine Dissertation über das Edikt des Tiberius Julius Alexander und erhielt für zwei Jahre einen Vertrag als Assistent. Als dieser aus politischen Gründen nicht verlängert wurde, gelang es Friedrich Zucker und Schubart, ihm 1951 in der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine Stelle als Leiter der Arbeitsgruppe Papyrologie einzurichten.

In Berlin pflegte Wolfgang Müller enge Kontakte zu dem Papyrusrestaurator Rolf Ibscher, der als ausgezeichneter Pianist zum geschätzten Musikpartner für ihn wurde. Da die Berliner Papyri sich damals zum großen Teil noch in der Sowjetunion befanden, wohin sie nach Kriegsende verbracht worden waren, beschäftigte sich Müller in dieser Phase hauptsächlich mit der Edition von Berliner Ostraka aus Elephantine. Er publizierte aber auch Stücke aus Ibschers privater Papyrussammlung und sorgte schließlich dafür, daß dieser seine Sammlung den Staatlichen Museen zu Berlin verkaufte. Seit 1952 hielt Müller für 10 Jahre als Dozent nebenamtlich Vorlesungen in Alter Geschichte in Jena.

Nach Rückkehr der ausgelagerten Papyri der Berliner Sammlung aus der Sowjetunion wurde Müller 1960 mit der kommissarischen Leitung der Papyrussammlung beauftragt und initiierte die Neuordnung der Bestände, um die Sammlung möglichst rasch wieder den Kollegen und der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch eigene Editionsarbeiten waren nun wieder möglich, und so reichte er im Jahre 1964 eine Edition von 16 literarischen Papyri und 23 Urkunden aus ptolemäischer Zeit als Habilitationsarbeit an der Humboldt-Universität ein.

Von 1965–1988 leitete Wolfgang Müller als Direktor das Ägyptische Museum und die Papyrussammlung. Er sorgte für Organisation von und Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen und beförderte auch in schwierigen Zeiten die Forschung an den Berliner Papyri, wobei er mit diplomatischem Geschick fruchtbare internationale Kontakte und Besuche der Sammlung von Wissenschaftlern aus dem Westen ermöglichte. Zu den wichtigsten Leistungen als Direktor zählt auch der Erhalt der Sammlung, die er in den 70er und 80er Jahren durch geschickte Verhandlungen vor staatlichen Plänen zur Umsetzung von Kulturgütern in Devisen bewahren konnte. Nicht unerwähnt sei, daß über Jahrzehnte in einem Tresor des Papyrusdepots Müllers Violine aufbewahrt war, die bei Besuchen von gleichgesinnten Kollegen zum gemeinsamen Musizieren herausgeholt wurde. Dem Archiv für Papyrusforschung diente er von 1969–1993 als Mitherausgeber.

Auch nach Ende seiner aktiven Tätigkeit am Ägyptischen Museum nahm Müller bis ins hohe Alter regen Anteil am Geschehen in Museum und Papyrussammlung. Telefongespräche pflegte er mit der Frage „Und? Was gibt’s Neues?“ zu eröffnen, wobei er vor allem auf die Mitteilung von neuen Papyrusfunden in der Sammlung oder von Besuchern der Papyrussammlung abzielte. Müllers humane Gesinnung, das Verständnis für alle zwischenmenschlichen Belange, sein umfassendes kulturelles Interesse und die stete Bereitschaft zum gelehrten Diskurs sind Züge, die er auch in der bitteren Zeit während der schweren Krankheit und nach dem Tod seiner langjährigen Ehefrau Ingeborg Müller bewahrte. Sie werden den Kollegen in Berlin und aller Welt ebenso im Gedächtnis bleiben wie seine Leistungen für die Berliner Papyrussammlung und die Papyrologie.